23. September 2025
Frankfurts Ritzenrebellen im Rampenlicht
BioFrankfurt – das Netzwerk für Biodiversität benennt als „Biozahl“ des Jahres die 526: So viele Pflanzenarten wachsen in
Frankfurts Pflasterritzen
Frankfurt. Winzige Pflanzen mit großer Wirkung: Insgesamt 526 Pflanzenarten wurden in Frankfurter Pflasterritzen dokumentiert. Damit
wächst in den Fugen der Metropole eine Vielfalt, die knapp 40 Prozent aller bekannten Pflanzenarten Frankfurts umfasst.
Bekannt wurden diese „Ritzenrebellen“ in Frankfurt durch die von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung nach Deutschland
geholte Aktion #Krautschau: Dabei bestimmen Bürger:innen und Fachleute gemeinsam Pflanzen am Straßenrand, beschriften sie mit bunter Kreide und teilen ihre Entdeckungen in den sozialen Medien. So ist
aus dem vermeintlichen „Unkraut“ ein Symbol für urbane Wildnis und Artenvielfalt geworden.
Die Liste der 526 Arten und Unterarten aus 90 Pflanzenfamilien basiert auf wissenschaftlichen Arbeiten des Senckenberg-Instituts,
aktuellen Beobachtungen im Rahmen der Kooperation zwischen der Aktion #Krautschau und der Pflanzenbestimmungsapp Flora Incognita sowie Hinweisen erfahrener Botaniker:innen. Erfasst wurden alle
mindestens einmal nachgewiesenen Arten; die Liste ist somit eine Sammlung mehrerer Momentaufnahmen, keine wissenschaftliche Dauererhebung – und wahrscheinlich weit davon entfernt, vollständig zu
sein. Für die Umwelt-bildung hat diese Vielfalt besonderen Wert: Unter den erfassten Arten sind z.B. 267 essbare, 197 nicht heimische sowie 142 aus Gärten und Pflanzungen verwilderte Zierarten. Diese
Zusammen-setzung eröffnet eine Vielzahl von Ansatzpunkten, um ökologische und gesellschaftliche Entwick-lungen anschaulich zu vermitteln, unmittelbar im Stadtraum und ohne die Notwendigkeit, dafür
spezielle Lernorte besuchen zu müssen.
Insbesondere die ökologischen Effekte der kleinen Überlebenskämpferinnen sind beachtlich: Auch unter schwierigsten Bedingungen (Hitze,
Trockenheit, Bodenverdichtung) erhöhen sie die Biodiversität, bieten Lebensraum für Insekten und andere Kleintiere, binden Staub, fördern die Versickerung von Regenwasser, tragen zu einem kühleren
Mikroklima bei und vernetzen größere Grünflächen. Gleichzeitig eröffnen sie spannende Einblicke zu Fragen des Klimawandels, globaler Artenwanderung und urbaner Ästhetik.
„Die Biozahl 2025 zeigt eindrucksvoll, wie viel Biodiversität selbst im versiegelten und scheinbar lebensfeindlichen Stadtraum steckt“,
so BioFrankfurt. „Wer genauer hinschaut, entdeckt eine faszinierend schöne Vielfalt, die unsere Städte lebenswerter macht – und schaut meistens nicht mehr weg, sondern beschäftigt sich bald auch mit
den größeren Fragen im Kontext von Stadt-ökologie, Artenvielfalt und Klimaveränderungen.“
Diese Pflänzchen laden uns ein, Stadt anders zu denken: als dynamisches Ökosystem statt als rein funktionale Infrastruktur. Wer sich
auf sie ein- und zur genaueren Betrachtung auf die Knie niederlässt, ist meist überrascht von ihrer fragilen und zugleich erstaunlich widerstandsfähigen Schönheit!
Damit verändert sich langsam der Blick auf diese ganz zu Unrecht als „Unkraut“ verunglimpften Pflanzen. Sie stoßen Fragen an zum Umgang
mit Stadtnatur, nach der Notwendigkeit, unsere Sehgewohnheiten und Ordnungssinn zu verändern und nach der Teilhabe an der Stadt: Wer bestimmt eigentlich nach welchen Kriterien, was wo wachsen darf –
und wie ändert sich dies?
Der Blick auf die „Ritzenrebellen“ macht deutlich: Auch unscheinbare urbane Wildnis hat Bedeu-tung – und verleiht dem scheinbar
Wertlosen neuen Wert. Gerade angesichts von Biodiversitäts-verlust und der notwendigen sozial-ökologischen Transformation unserer Städte gewinnt dieses Thema an besonderer Aktualität. Die winzigen
Pflänzchen im städtischen Grau eröffnen einen Perspektivwechsel – und die Biozahl 2025 möchte diesen Prozess bei noch mehr Menschen und Akteuren anstoßen.
Wenn sich Pflanzen die Pflasterritzen erobern, ist das die kleinste Form von Stadtwildnis – ein Thema, für das sich BioFrankfurt und
seine 13 Mitgliedsinstitutionen bereits seit Jahren engagiert. Das aktuelle Projekt „Urban Wild – Deutschlands wilde Städte“ macht Stadtwildnis in Deutschland sicht- und erlebbarer, interviewt und
vernetzt Akteure und Kommunen deutschlandweit und zeigt, wie wilde Stadtnatur unser Leben bereichert. Bei der diesjährigen Biozahl zeigen die Pflanzen in Pflasterfugen und Mauerritzen exemplarisch,
wie schon die kleinste Form von Stadtwildnis positive Effekte für uns alle hat: Sie verbessern das Stadtklima und bereichern die biologische Vielfalt – und schenken zugleich wohltuendes Grün im
Alltag.
Quelle: BioFrankfurt