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Brüssel, Radolfzell. Die EU ist seit 20 Jahren ein verheißenes Land für den Westbalkan und die EU-Kommission drängt darauf,
ihr Versprechen auf eine Mitgliedschaft einzulösen, insbesondere gegenüber Albanien und Montenegro.
Diese neuen Entwicklungen sind zu begrüßen, aber es sind konkrete Maßnahmen seitens der Westbalkanstaaten erforderlich, um die Lücken
in Bezug auf EU-Recht zu schließen. Die Spi-tzenkandidaten der EU-Kommission liegen nämlich erheblich zurück: Albanien und Montenegro sind Beispiele für die Kluft zwischen der Rhetorik der EU und der
Realität.
Beispielsweise werden im Erweiterungspaket die jüngsten Änderungen des Gesetzes über Schutzgebiete in Albanien und der rasche Bau des Flughafens Vlora im Landschaftsschutzgebiet Vjose-Narte
ausdrücklich als Rückschläge genannt. Der EU-Bericht kommt zu dem Schluss, dass dies zu einer Verschlechterung des Naturschutzes in Albanien geführt hat und dringt auf die vollständige Angleichung
und Durchsetzung der Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien. Der Bericht betont die Notwendigkeit einer vollständigen Umsetzung der Vorschriften für Umweltver-träglichkeitsprüfungen (UVP) und
strategische Umweltprüfungen (SUP). Damit soll sichergestellt werden, dass alle Infrastrukturinvestitionen den naturschutzrechtlichen Verpflichtungen der EU und internationalen Verpflichtungen
entsprechen und eine sinnvolle Beteiligung der Öffentlichkeit wiederhergestellt wird. Der Bericht der Kommission versäumt es jedoch, diese Erkenntnisse mit den Verpflichtungen im Rahmen der
Benchmarks für Kapitel 27 als Teil des gemeinsamen Stand-punkts der EU zu Cluster 4: Grüne Agenda und nachhaltige Konnektivität in Verbindung zu setzen.
„Ausstehend“: ein wichtiges Stichwort für Montenegro in dem Bericht. Einige maßgebliche Gesetze und deren tatsächliche Umsetzung stehen noch aus. Dies betrifft insbesondere das
Naturschutzgesetz und die nationale Strategie für biologische Vielfalt. Aufgrund von Unstimmig-keiten hinsichtlich der Zuständigkeiten zwischen den zentralen und lokalen Behörden gibt es für die
Saline Ulcinj, eines der wichtigsten Gebiete für biologische Vielfalt in der Region, nach wie vor keinen Managementplan.
Montenegro präsentiert sich als „ökologischer Staat“ und hat Fortschritte bei der Kartierung seiner biologischen Vielfalt erzielt, doch beim Schutz der Natur vor Ort weist das Land erhebliche
Defizite auf. Derzeit sind weniger als 14 Prozent der Landfläche Montenegros und weniger als 2 Prozent seiner Meeresgewässer Schutzgebiete, was weit unter dem Kunming-Montreal-Ziel von 30 Prozent
liegt. Ein zentrales Problem ist das Nichtumsetzen wissenschaftlicher Bewertungen in gesetzliche Schutzmaßnahmen.
Obwohl über 70 Prozent des Territoriums Montenegros für das ökologische Netzwerk Natura 2000 ausgewiesen wurden, hat die Regierung diese Gebiete nicht offiziell entsprechend den Anforderungen des
Emerald Network (Bern-Konvention) ausgewiesen. Aktuell geschieht eher das Gegenteil, denn der neue nationale Raumordnungsplan ignoriert die potentiellen neuen Emeraldgebiete weitgehend. Dadurch
bleiben viele ökologisch wichtige Gebiete ohne wirksamen Schutz und sind zunehmendem Entwicklungsdruck ausgesetzt.
Gravierende Mängel in den westlichen Balkanstaaten
In der gesamten Region ist die Lage ähnlich: In Bosnien und Herzegowina gibt es nach wie vor kein Natura-2000-Netzwerk und kein System zur Überwachung der biologischen Vielfalt.
Im Kosovo sind die Verwaltungskapazitäten im Umweltbereich immer noch „äußerst gering“ und die Schutzgebiete werden nicht angemessen verwaltet. Die Kommission fordert den Kosovo
ausdrücklich auf, „geeignete Maßnahmen zur tatsächlichen Verhinderung der Verschmutzung von Schutzgebieten und zur Verwaltung von Schutzgebieten“ zu ergreifen.
Serbiens umweltrechtlicher Rahmen entspricht auf dem Papier relativ gut dem der EU, beispiels-weise wurden Ende 2024 aktualisierte Gesetze zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und zur
strategischen Umweltprüfung (SUP) verabschiedet. Die Umsetzung hinkt jedoch hinterher. Die Kommission betont, dass diese Gesetze nun schnell und konsequent auf alle Projekte angewen-det werden
müssen. In der Praxis hat Serbien manchmal UVP-Verfahren komplett umgangen, indem es vorläufige Genehmigungen erteilt oder alte Studien verwendet hat, um Projekte zu beschleunigen. Dabei wurden
gründliche Überprüfungen und öffentliche Beteiligung umgangen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltpolitischen Entscheidungen ist nach wie vor unzu-reichend. Im Jahr 2025 waren keine
Verbesserungen in Bezug auf Transparenz oder Konsulta-tionen zu verzeichnen. Aus der Zivilgesellschaft wird berichtet, dass die Behörden Informationen über die Umweltauswirkungen laufender Projekte
oft nicht proaktiv offenlegen.
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass in Nordmazedonien das nationale Informationssystem für Biodiversität noch immer nicht funktionsfähig ist und die Ermittlung potenzieller
Natura-2000-Gebiete mit institutionellen Schwierigkeiten verbunden ist. Der Prozess der Ausweisung von Schutzgebieten von hoher Bedeutung wie dem Ohridsee, Studenchisko Blato, dem Matka-Canyon und
der erneuten Ausweisung des Mavrovo-Nationalparks ist noch nicht abgeschlossen und könnte zu einer weiteren Verschlechterung der Biodiversität und der ökologischen Bedeutung dieser Gebiete
führen.
Insgesamt ist die Einhaltung der Umweltvorschriften eine Schwachstelle: Allen Balkan-Kandi-daten wurde mitgeteilt, dass der Fortschritt bei den Beitrittsverhandlungen von nachweisbaren Ergebnissen im
Naturschutz und bei der Bekämpfung von Umweltkriminalität abhängt.
Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von EuroNatur, erklärt: „Regierungen und EU-Institutionen müssen diese Ergebnisse als Warnsignale betrachten und nicht als reine Formalitäten. In Albanien sollten
die Gesetzgeber die schädlichen Änderungen des Gesetzes über Schutzgebiete aus dem Jahr 2024 aufheben und die Ausnahmeregelungen für Bewässerung, Ferienanlagen und Infrastruktur streichen, denn diese
untergraben den Wert und die Integrität der Schutzgebiete. Großprojekte wie der Flughafen Vlora müssen ausgesetzt und mit einer ordnungsgemäßen UVP/SUP und einer echten öffentlichen Überprüfung neu
bewertet werden.“
Viktor Berishaj, Senior Policy Officer bei EuroNatur, fasst zusammen: „Alle Länder des westlichen Balkans müssen die Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien vollständig umsetzen, ihre
Emerald-/Natura-Netzwerke vervollständigen und die Durchsetzung der Naturschutzgesetze verstärken. Der Zugang zu Informationen und Gerichten gemäß der Aarhus-Konvention muss gewährleistet sein, damit
die Bürger Entscheidungen überwachen und illegale Projekte anfechten können. Vor allem sollte die EU Kapitel 27 als nicht verhandelbares Beitrittskriterium aufrechterhalten: Ein Land, das seine
Flüsse, Wälder und Wildtiere nicht schützt, kann nicht glaubhaft behaupten, dass es bereit ist, der EU beizutreten.“
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