Tirana, Wien, Radolfzell. Rund zwei Jahre nach ihrer historischen Ausweisung als Europas erster Wildfluss-Nationalpark im März
2023 steht die Vjosa weiterhin unter großem Druck: Bergbau- und Förderindustrie, der Ausbau der Infrastruktur sowie Missmanagement gefährden die öko-logische Integrität des Nationalparks - und seinen
globalen Naturschutzwert. Wenn die alba-nische Regierung diese Belastungen weiterhin ignoriert, besteht die Gefahr, dass der Vjosa-Wildfluss-Nationalpark ein reiner „Papierpark“ ist, der zwar
rechtlich besteht, aber in der Realität keinen Schutz bietet.
Gleichzeitig strebt die albanische Regierung den Status eines UNESCO-Biosphärenreservats für das Vjosa-Tal an. Solange jedoch die beschriebenen Bedrohungen für die Vjosa nicht angegangen und
bewältigt werden, wird die Aufnahme in die Liste der Biosphärenreservate nur symbolisches Prestige bedeuten; ein wirklicher Schutz vor Ort bliebe aus.
Ein neuer Bericht – “Mapping Pressures in the Vjosa Wild River National Park” – dokumentiert die genannten Bedrohungen im Detail. Die Analyse, die der Nationalen Agentur für Schutzgebiete in Albanien
im März 2025 vorgelegt wurde, unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf der Regierung.
Die größten Bedrohungen für den Vjosa-Wildfluss-Nationalpark
- Ölförderung: Unzureichend überwachte Ölförderung bedroht die Biodiversität und die Wasserqualität der Vjosa. Es wurden
zahlreiche Öllecks dokumentiert, die das Wasser verunreinigen und die aquatischen Ökosysteme schädigen. Obwohl der Managementplan des Nationalparks ein Verbot vorsieht, kommt es Berichten
zufolge immer wieder zu unkontrollierten Ölverschmutzungen entlang der Flussufer.
- Bitumengewinnung und -verarbeitung: Der Abbau von Bitumen - einem schwarzen, klebrigen Stoff, der aus Erdöl gewonnen
wird - im mittleren Teil des Flusses verursacht schwere Umweltschäden. Die illegale Entsorgung von Bergbauabfällen dauert an und gefährdet Lebensräume und Wassersysteme. Diese Praktiken sind zwar
verboten, doch werden diese Verbote nur unzureichend geahndet.
- Wasserentnahme: Die übermäßige Wasserentnahme für die Landwirtschaft, die Industrie und den Tourismus trägt zu einer
Verringerung der Wassermenge im Fluss bei, was wiederum die aquatischen Ökosysteme und die flussabwärts gelegenen Gemeinden beeinträchtigt. Da der Klimawandel die Wasserverfügbarkeit in der Vjosa bis
2050 voraussichtlich um 30 Prozent verringern wird, wird die unkontrollierte Wasserentnahme zu einer noch größeren Bedrohung.
- Kiesentnahme: Die kontinuierliche Kiesentnahme an der Vjosa beeinträchtigt die Hydrologie des Flusses, zerstört die
Laichplätze der Fische und destabilisiert das Flussbett.
- Städtische Abfälle und Abwässer: Eine unzulängliche Abfall- und Abwasserwirtschaft verschmutzt die Vjosa und
gefährdet die Tierwelt sowie die öffentliche Gesundheit. Mülldeponien befinden sich oft zu nahe an den Ufern des Flusses, so dass die Gefahr einer Verschmutzung bei Hochwasser besteht. Ländliche
Gebiete tragen in erheblichem Maße zur Kunststoffverschmutzung bei, und unbehandelte Abwässer werden direkt in den Fluss Vjosa eingeleitet.
Zusätzlich zu diesen fünf Hauptbedrohungen gefährdet die unkontrollierte Entwicklung des Tourismus die
ökologische Integrität des Vjosa-Wildfluss-Nationalparks. Während nachhaltiger Tourismus willkommen ist, stellt die rasche und schlecht geplante Expansion von touristischer Infrastruktur eine
Herausforderung für die Erhaltung von Lebensräumen, das Besuchermanage-ment und die ökologische Widerstandsfähigkeit dar.
Was jetzt geschehen muss
Die Schwere einiger dieser Umweltverschmutzungen würde selbst außerhalb eines Schutz-gebiets als Umweltverbrechen gelten. Im Kontext
eines neu gegründeten Nationalparks sind solche Verstöße besonders skandalös und erfordern sofortige Maßnahmen, um die Glaub-würdigkeit der Ausweisung als Schutzgebiet zu bewahren. Daher fordern wir
die albanische Regierung sowie das Ministerium für Tourismus und Umwelt auf:
- Strenge Vorschriften durchzusetzen, um extraktive und umweltverschmutzende Aktivitäten wie Bitumenabbau, Ölverschmutzungen und
Kiesgewinnung zu überwachen und zu verhindern.
- Unternehmen der Rohstoffindustrie zu verpflichten, Renaturierungsprojekte nach dem Verursacherprinzip („Polluter Pays“-Prinzip) zu
entwickeln und umzusetzen.
- Die Wasserentnahme streng zu kontrollieren und gemeinsam mit den Gemeinden und dem Landwirtschaftsministerium Maßnahmen zu ergreifen, um
eine unsachgemäße Nutzung zu verhindern.
- Die Standorte kommunaler Mülldeponien zu überprüfen und ggf. zu verlegen, um Plastikverschmutzung der Gewässer zu verhindern. Zudem
sollten die Gemeinden Maßnahmen zur Sanierung bestehender Deponien erarbeiten und umsetzen müssen sowie ihre Abfallwirtschaftssysteme und Kläranlagen verbessern.
- Die unkontrollierte Entwicklung und Ausweitung touristischer Infrastruktur in der Nähe des Vjosa Wildfluss-Nationalparks strikt zu
überwachen, da diese die Biodiversität gefährden und die Schutzziele des Parks untergraben können.
Warum die Vjosa wichtig ist
Das Flusssystem der Vjosa beheimatet über 1.100 Arten, darunter 13 weltweit bedrohte Tier-arten, und zählt zu den letzten großen, frei
fließenden Flüssen Europas. Ihre Ausweisung als IUCN-Nationalpark der Kategorie II war ein bedeutender Meilenstein für den internationalen Flussschutz.
„Der Vjosa-Wildfluss-Nationalpark wird weltweit gefeiert, aber die Realität vor Ort sieht ganz anders aus. Ohne entschlossenen politischen Willen droht die Vjosa nur auf dem Papier geschützt zu
sein“, sagt Olsi Nika von EcoAlbania.
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