Podgorica, Radolfzell. Ein Zusammenschluss von über 200 internationalen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Recht,
Energie und Ökologie – zusammen mit mehr als 20 nationalen NGOs – fordert die Regierung Montenegros dazu auf, die Pläne zum Bau des „Komarnica“-Wasserkraftwerks in der gleichnamigen Schlucht mit
sofortiger Wirkung zu stoppen. In einem offenen Brief an die nationalen Behörden verlangen die Unterzeichnenden die Strei-chung des kontroversen Projekts und weisen auf irreversible
Umweltschäden, politische Ein-flussnahme und die Nichteinhaltung gesetzlicher Verpflichtungen hin.
Trotz überwältigender ökologischer Bedenken und des Einspruchs von Sachverständigen ist die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Komarnica-Wasserkraftprojekt bislang von ernsthaften
Unregelmäßigkeiten geprägt. Nach der Überarbeitungsfrist, die 855 Tage dauerte, wurde der UVP-Bericht im Februar 2025 erneut eingereicht, mehrere Monate zu spät und immer noch mit erheblichen Mängeln
behaftet. Diese Probleme bestärken die Zivilgesellschaft in ihrer Meinung, dass der Bericht vollständig abzulehnen ist. Die Umweltschutzbehörde Montenegros (USB) muss aber noch eine offizielle
Entscheidung fällen. Die Verzögerung gibt Anlass zur Sorge, dass politischer Druck von Seiten des Projektentwicklers das transparente, wissen-schaftsbasierte Verfahren gefährden könnte – und wirft
damit ernsthafte Fragen in den Bereichen Rechenschaftspflicht und politische Kontrolle auf.
„Wir warten auf die endgültige Entscheidung der USB und verlangen volle Rechenschaft von allen verantwortlichen Beteiligten“, sagt Adrijana Mićanović, Generalsekretärin der Montene-grinischen
Gesellschaft für Ökologie. „Eine Genehmigung dieses Projekts würde nicht nur einen Nationalschatz zerstören, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in umweltpolitische Entscheidungen noch
weiter aushöhlen.“
Trotz weit verbreiter Bedenken von Expertinnen, Experten und der Zivilgesellschaft scheint die Regierung Montenegros entschlossen, das
Projekt voranzutreiben. Dabei sind bislang keine ordnungsgemäßen Kosten-Nutzen-, Energie- oder Gemeinwohl-Analysen veröffentlicht worden. Unabhängige Gutachten zeigen, dass die Baukosten sich seit
2012 nahezu verdoppelt haben und auf 343 Millionen Euro explodiert sind, während der Beitrag zu Montenegros Gesamtenergiebedarf nur 2 % beträgt. Spezialistinnen und Spezialisten sagen, dass es
tragfähige Alternativen gibt, zum Beispiel Hybridenergie aus Sonne und Wind, die größere Erträge liefern könnte, ohne dafür Ökosysteme zu opfern.
Der Ruf, Komarnica zu stoppen, kommt zu einer Zeit, in der die Zivilgesellschaft überall in Montenegro zunehmend alarmiert ist
von jüngsten politischen Schritten, die Mega-Infra-strukturinvestitionen von internationalen Akteuren unter Umgehung gesetzlicher Umwelt-vorschriften ermöglichen. Auch die Europäische Kommission
hat ernsthafte Bedenken geäußert, wie das montenegrinische Parlament den Weg dafür frei gemacht hat, den zwölf Kilometer langen Strand Velika plaža zu erschließen – eine unberührte Perle der
Natur.
„Während Montenegro den Weg zum EU-Beitritt weitergeht, müssen die Wahrung des Umweltrechts, die Sicherstellung transparenter Verfahren und der Schutz des Naturerbes unverhandelbar bleiben“,
sagt Dr. Amelie Huber, Projektleiterin Fließgewässerschutz bei EuroNatur.
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