Alle 90 Sekunden für Europas Konsum gerodet:
Ein Fußballfeld
Fußballstadion in Berlin zeigt Dimension der Waldvernichtung / Umweltverbände fordern starkes EU-Gesetz gegen Naturzerstörung
Berlin: Alle 90 Sekunden verschwindet allein für EU-Importe wie Soja, Palmöl oder Kautschuk eine Waldfläche der Größe eines Fußballfeldes. Darauf hat das Bündnis Together4Forests heute mit einer
Installation im Berliner Hans-Zoschke-Stadion hingewiesen. Die beteiligten Umweltorganisationen WWF Deutschland, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, ROBIN WOOD und OroVerde fordern die
Bundesregierung auf, sich für ein wirksames EU-Gesetz zum Stopp der europäisch verantworteten globalen Naturzerstörung einzusetzen. Die Installation ist Teil einer europaweiten Aktion, an der
Umweltschützer:innen aus 14 Ländern teilnehmen.
Im November 2021 hatte die EU-Kommission einen Gesetzentwurf veröffentlicht, der die Einfuhr und den Handel mit Rohstoffen und Produkten nur dann zulässt, wenn für sie kein Wald zerstört wurde. Der
Gesetzentwurf hat allerdings noch gravierende Mängel, so die Umweltorganisationen. So will die EU-Kommission erst zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes prüfen, ob wertvolle Ökosysteme mit
geringer oder keiner Bewaldung – wie Savannen, Grasland oder Feuchtgebiete – auch durch das Gesetz geschützt werden sollen.
Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF Deutschland, warnt deswegen vor Verlagerungseffekten: „Statt eines Fußballfeldes an Wald könnte dann alle 90 Sekunden ein Fußballfeld an Savanne,
Grasland oder Moor zerstört werden. Für den Kampf gegen die Klimakrise wäre das fatal. Grasland und Savannen speichern pro Hektar genauso viel Kohlenstoff wie tropische Wälder. Die neue
Bundesregierung hat sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben, ein EU-Gesetz mit Schlupflöchern in dieser Dimension ist damit nicht vereinbar. Noch kann Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir
gegensteuern und zeigen, dass er es mit dem Schutz der Natur ernst meint.“
„Der Gesetzentwurf der EU-Kommission ist ein Meilenstein für den Schutz der Wälder, der erstmals illegaler und legaler Entwaldung einen Riegel vorschieben soll. Dieser Entwurf darf jetzt unter dem
Beschuss von Wirtschaftsverbänden nicht zum stumpfen Schwert werden. Vereinfachte Sorgfaltspflichten oder Freifahrtscheine für bestimmte Regionen, die Schlupflöcher öffnen, darf es nicht geben. Nur
mit starken Sanktions- und Kontrollmechanismen sowie einem Zugang der Betroffenen zu Gerichten wird sich die Waldzerstörung in unseren Lieferketten stoppen lassen. Das haben die Erfahrungen mit der
Holzhandelsverordnung gezeigt“, so Peer Cyriacks, Leiter Naturschutz der DUH.
„Viele Rohstoffe fehlen im Lieferkettengesetz und müssen dort dringend ergänzt werden. Denn auch der Anbau von Mais, Zuckerrohr oder Kautschuk führt zu Entwaldung. Die Kautschukproduktion zum
Beispiel wächst zurzeit besonders stark, dadurch sind artenreiche Regionen in Südostasien und im Süden Chinas akut gefährdet. Zudem gibt es Risiken durch indirekten Landnutzungswandel: Ölpalmen etwa
werden vermehrt auf alten Kautschuk-Plantagen angebaut, neue Kautschuk-Plantagen werden dafür im Wald angelegt. So lässt sich die Waldzerstörung nicht stoppen“, sagt Fenna Otten, ROBIN
WOOD-Tropenwaldreferentin.
Cornelia Heydenreich, Leiterin des Teams Unternehmensverantwortung bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, kommentiert: „Zahlreiche Fälle belegen, dass Entwaldung auch mit der
Gefahr schwerster Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Menschenrechte dürfen für die EU-Kommission nicht nur eine Nebenrolle spielen. Genau das ist aber in diesem Gesetzentwurf der Fall. Die EU
sollte nicht allein auf die Einhaltung bestehender Gesetze in den Abbau- und Produktionsländern verweisen, sondern muss einfordern, dass die Unternehmen internationale menschenrechtliche Standards
einhalten. Nur so werden insbesondere die Rechte indigener Gemeinschaften wirksam geschützt, deren Lebensgrundlagen durch Zerstörung von Ökosystemen bedroht sind. Die Bundesregierung muss sich hier
für starken Menschenrechtsschutz einsetzen und gleichzeitig darauf drängen, dass die EU-Kommission mit dem ebenfalls angekündigten, aber immer wieder verschobenen, EU-Lieferkettengesetz endlich zügig
umfassende Menschenrechtsregeln für globales Unternehmenshandeln vorlegt.“
Der Finanzsektor ist bisher nicht in die Sorgfaltspflicht einbezogen, kritisiert Lioba Schwarzer von OroVerde - Die Tropenwaldstiftung: „Dabei feuern Banken und Finanzdienstleister mit
Kreditvergabe und Investitionen die globale Entwaldung und somit die Klimakrise mit an. Die EU-Kommission sieht diesen Bereich unter anderem durch die gerade entstehende EU-Taxonomie – ein
Klassifizierungssystem zur Definition ökologisch nachhaltiger Geschäftsaktivitäten – abgedeckt. Dort werden aber Investitionen, die Entwaldung verursachen, nicht verboten, sondern lediglich als nicht
nachhaltig eingestuft. Das ist ein enormer Unterschied und entscheidet mit darüber, ob wir die Entwaldung weltweit nun wirklich stoppen wollen oder nicht.“
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