19. Mai 2022
Forum Blühender Naturpark zur ökologischen Pflege des Straßenbegleitgrüns
Großes ökologisches Potenzial auf 30.000 Hektar
(Ötisheim) Mehr als 60 Teilnehmende aus Politik und Gemeindeverwaltung, Vertreter von Straßenmeistereien der Landkreise und kommunaler Bauhöfe konnten Landrat Bastian Rosenau und Naturparkgeschäftsführer Dietmar Gretter beim 4. Forum „Blühender Naturpark“ am 17. Mai in der Ötisheimer Erlentalhalle begrüßen. Die Fachforen sind Teil des Projektes „Blühender Naturpark“, in dem sich der Naturpark Stromberg-Heuchelberg mit der Anlage von mehrjährigen Blühflächen einheimischer Wildkräuter, mit Öffentlichkeitsarbeit, Umweltbildung und mit Fortbildungsmaßnahmen für den Erhalt von Insektenlebensräumen einsetzt.
„Mehr als 140 kommunale Blühflächen auf rund 86.000 m2 sind in 16 teilnehmenden Naturpark-gemeinden in den vergangenen Jahren dem Insektenschutz gewidmet worden, jeweils begleitet von umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit“, zog Gretter ein Zwischenfazit. Das Projekt solle in Zukunft mit der Einbeziehung weiterer Flächen, etwa Betriebsflächen von Unternehmen oder Privatgärten, auf ein breiteres Fundament im Sinne einer umfassenden Förderung der Biodiversität gestellt werden. Thema des gemeinsam mit dem Landschaftserhaltungsverband Enzkreis organisierten Fachforums in Ötisheim war deshalb die ökologische Behandlung der Grünflächen entlang von Straßen und Wegen, um auch auf diesen Flächen einen Beitrag gegen den Schwund der biologischen Vielfalt zu leisten. Landesweit gesehen nimmt das Straßenbegleitgrün eine Fläche von immerhin rund 30.000 ha ein, aufgrund der linienhaften Flächenstruktur mit einer wichtigen Funktion für Biotobverbund und Tierwanderungen.
„Früher war mehr Lametta“ – Loriots Kunstfigur Opa Hoppenstedt wusste bei jeder Gelegenheit seine Mitmenschen mit der Verklärung der „guten alten Zeit“ zu nerven. Bezogen auf unsere Insektenwelt kann der Blick zurück tatsächlich zu einer gewissen Wehmut führen, verbunden mit der dringenden Notwendigkeit, dem Verlust an biologischer Vielfalt entgegen zu wirken. Darin waren sich alle Referenten des Fachforums einig. Sowohl wissenschaftliche Studien als auch die subjektive Erfahrung deutlich weniger reinigungsbedürftiger Windschutzscheiben nach der Urlaubsfahrt zeigen einen massiven Rückgang der Insekten in den vergangenen Jahrzehnten. Bis zu 75 % beträgt der Rückgang der Insektenmasse, dies wirkt sich auch unmittelbar auf weitere Tierarten in der Nahrungskette, z. B. Vögel, aus. „Ein Mauersegler muss heute zur Aufzucht seiner Jungen mit Insekten doppelt so weit fliegen als noch vor 20 Jahren“, konstatierte der Geschäftsführer des Landschaftserhaltungsverbands Enzkreis, Thomas Köberle. „Die Biodiversitätskrise ist mindestens so bedrohlich wie die Klimakrise – da müssen wirklich alle mitziehen“, so der Biologe. Ziel müsse es sein, den Insekten und ihren Larven während des gesamten Jahres Nahrung und Unterschlupf anzubieten. „Pflege um der Pflege willen“ müsse tabu sein.
Auch Professor Johannes Steidle vom zoologischen Institut der Uni Hohenheim misst den Siedlungs- und Verkehrsflächen hohe Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu. Ohne den ökonomischen Druck, der auf landwirtschaftlichen Flächen laste, könnten hier vielfältige Strukturen angeboten werden, die für den Erhalt der Biodiversität erforderlich seien. Die Verwendung einheimischer Gehölze und Stauden führe dabei zu deutlich höheren Artenzahlen als der Einsatz fremdländischer oder gezüchteter Arten. Steidle wies insbesondere auf die Erhaltung von Überwinterungsangeboten für die Insekten und ihre Larven hin. Ein Flächenumbruch oder eine flächige Mahd im Spätherbst töte alle Überwinterungsstadien auf diesen Flächen. Umso wichtiger, Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, bei denen jeweils ein Teil der Fläche als Altgrasstreifen erhalten bleibe.
Björn Losekamm vom Verkehrsministerium setzte sich ebenfalls für Mähkonzepte entlang von Straßen ein, bei denen jeweils wechselnde Teilflächen unbearbeitet als Rückzugsraum erhalten blieben. Anhand einer Präsentation konnte er vielfältige positive Praxisbeispiele aus Baden-Württemberg aufzeigen, bei denen bereits ein guter ökologischer Zustand erreicht werden konnte. Losekamm erinnerte die anwesenden Mitarbeiter der Straßenmeistereien auch an ihre Vorbildfunktion, die sie für Privatpersonen einnähmen. Mit seinen Vorrednern war sich Losekamm einig, dass der Bevölkerung kommuniziert werden müsse, dass „ungepflegt“ keinesfalls mit Schlamperei gleichzusetzen, sondern vielfach als der ökologisch anzustrebende Zustand zu betrachten sei. Das Verkehrsministerium habe hierzu auch für die Praxis umfangreiche Broschüren und Handlungsleitfäden herausgegeben. Eine zunehmend kritische Bevölkerung achte mehr und mehr auf die Umsetzung
Im Praxisteil des Fachforums demonstrierte die Firma MULAG einen in Entwicklung befindlichen Mähkopf für ein schonenderes Mähverfahren im praktischen Einsatz. Während bei konventioneller Mahd mit Schlegelmulchköpfen mehr als 80 % der Kleinlebewesen – Insekten, Amphibien, Reptilien und Kleinsäuger – auf den Mähflächen getötet würden, reduziere sich dieser Anteil durch gezielte Verbesserungen am Mähkopf um weit mehr als die Hälfte. Größere Schnitthöhen, horizontale Messer statt vertikal rotierender Schlegelwalzen, eine gezielte Führung des Saugstroms für das Mähgut oder Abstreifbügel vor den Schneidmessern reduzieren die Schädigung von Lebewesen maßgeblich. Die Pflege des Straßenbegleitgrüns ist aus vielerlei Gründen unabdingbar. Über die ökologischen Auswirkungen entscheidet aber nicht nur das „Ob“, sondern wie so oft auch das „Wie“. Erste Erfolge eines für die Gemeinde Neulingen ausgearbeiteten Pflegekonzeptes konnte LEV-Geschäftsführer Köberle vor Ort in Bauschlott und Göbrichen präsentieren.
Quelle: Naturpark Stromberg-Heuchelberg e. V.
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